White Lines ist eine Netflix-Serie, die auf Ibiza spielt! Das hat mich mehr als neugierig gemacht und nach dem Ansehen von 7 der 10 Folgen ist es Zeit eine Rezension zu schreiben. Dann geht es aber schnell wieder vor den Fernseher, denn die spanisch-britische Serie von Álex Pina, der auch hinter der Serie Haus des Geldes steht, ist verdammt spannend.
Das Setting
Die Bibliothekarin Zoe lebt im britischen Manchester ein geordnetes Familienleben. Das Verschwinden ihres Bruders Axel hat sie fast überwunden. Er war vor etwas mehr als 20 Jahren nach Ibiza ausgewandert und hatte sich dort einen Namen als DJ gemacht, als plötzlich der Kontakt zu ihm abriss. Man sagt, er sei nach Indien weitergezogen.
Auf Ibiza plant unterdessen die mächtige und sehr geschäftstüchtige Familie Calafat das nächste große Ding, ein Casino soll gebaut werden. Um reibungslos an die Genehmigung zu kommen, müssen die Diskotheken sauber sein. Schlecht für die autorisierten Drogendealer, wie zum Beispiel Markus, denn sie müssen auf Anweisung des Sohns der Calafats, Oriol, ihre Geschäfte einstellen, und das obwohl gerade frische Ware geliefert wurde.
Und da kommt das Ereignis, das alles aus der Bahn wirft. Auf einem Gelände der Familie Calafat auf dem Festland findet man einen mumifizierten Leichnam. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um die Leiche von Axel handelt. Die Polizei ist mäßig interessiert, schließlich ist die Verjährungsfrist möglicherweise schon abgelaufen. Zoe hingegen ist fest entschlossen, die Sache aufzuklären und macht sich auf den Weg nach Ibiza.
Dort sucht sie die alte Clique von Alex, mit der er zusammen Anfang der 90er Jahre Manchester mit großen Träumen im Gepäck verlassen hatte. Zu dieser Clique gehören Markus, der sich neben dem Dealen als DJ betätig, seine Ex-Frau Anna, die erfolgreich luxuriöse Sexorgien organisiert und David, der sich der Spiritualität verschrieben hat und sich als Guru verdingt.
Wie sollte es anders sein, das Auffinden Axels und vor allem das Erscheinen Zoes bringt alles durcheinander bzw. im Falle von Markus noch mehr durcheinander. Selbstverständlich gibt es schon seit den 90-er Jahren vielfältige Bezüge zwischen der Familie Calafat, ihrem Sicherheitschef Boxer und der Clique.
Wie es gemacht ist
Die Serie springt in der Zeit. Einmal befinden wir uns im kleinbürgerlichen Manchester der 90er Jahre, wo die Clique illegale Raves veranstaltet. Dann ein Sprung in das Ibiza der 90er Jahre, wo die jungen Menschen im Alter von Anfang 20 die Freiheit genießen und zügellose Partys mit lauter Musik, wildem Sex und Drogen am Pool feiern, um dann zurück auf das heutige Ibiza zu steuern. Fast alle Hauptrollen sind doppelt besetzt, einmal in jung und einmal in 20 Jahre älter. Genial!
Auch die Machart und die Stimmung schwanken. Es wird mit Präzision Spannung aufgebaut, die stellenweise in bestialische Brutalität abgleitet, um dann schließlich wieder mit einer guten Priese britischem Humor urkomisch zu werden. Oder anders herum. Gefühlvolle Szenen haben ihren Platz genauso wie Actionszenen. Teilweise sind Zusammenhänge und Situationen logisch und nachvollziehbar, an anderen Stellen wiederum denkbar unrealistisch und unglaubwürdig.
Was fällt einem als Ibiza-Fan dazu ein?
Die Serie hat mich in ihren Bann gezogen. Als Ibiza-Fan muss man sich allerdings von dem Gedanken verabschieden, dass dort das Ibiza gezeigt wird, das man selbst kennt und liebt. Es fängt damit an, dass Aufnahmen von für Ibiza charakteristischen Orten gezeigt werden und dann wieder Aufnahmen, von anderen schönen Plätzen, die sich meiner Meinung nach nicht auf Ibiza befinden. Und richtig, die Serie wurde tatsächlich größtenteils auf Mallorca gedreht. Ähnlich wie mit diesen Äußerlichkeiten, verhält es sich auch mit den Inhalten.
Es werden ein paar Stichworte genommen, die landläufig und teilweise auch zutreffend mit Ibiza in Verbindung gebracht werden: DJs, Diskotheken, Partys, Sexorgien, Luxus, House-Music, Yoga. Daraus wird dann eine spannende Geschichte gezimmert. Man muss sich im Klaren sein, dass es in erster Linie darum geht, den Zuschauern fesselnde Unterhaltung zu bieten und weniger darum, irgendeinem dokumentarischen Anspruch mehr als nur oberflächlich gerecht zu werden. Und wenig überraschend, die anrüchigen und zweifelhaften Aspekte der Insel werden maßlos überbetont und reißerisch in den Vordergrund gestellt. Die eigentliche Magie der Insel hingegen kann die Kamera nur unzureichend fassen.
Dazu kommt, jeder Ibiza-Kenner hat sein ganz persönliches Bild von Ibiza. Und niemand kann erwartet, dass eine Serie dieses wiedergibt.
Fazit
Absolut Sehenswert, gut gemacht und spannend. Man muss sich aber von der Erwartung lösen, sein persönliches Ibiza gezeigt zu bekommen.